Ahnenforschung in Polen

 

oder eben mal 1.000 Kilometer nach Polen und zurück

Vorwort

Mit dem Tod meines Vater kam für mich die schmerzliche Erkenntnis, dass ich nicht nur ihn verloren hatte, sondern dass auch all diejenigen Menschen mit ihm gestorben waren, die nur noch in seiner Erinnerung gelebt hatten. Es gab also keinen mehr, den ich über die Vergangenheit Ostpreußens oder das Leben meiner Oma und anderer Vorfahren väterlicherseits fragen konnte. Das machte mir etwas aus und ich empfand plötzlich eine Art Drang zu meinen Wurzeln zurück zu kehren und in der Heimat meines Vaters einmal auf dem Rücken im Gras zu liegen und die Geschichten, die mein Vater erzählt hatte noch einmal Revue passieren zu lassen.

Gut...eine Russlandreise macht man mal eben nicht so zwischendurch. Also entschloss ich mich, erst einmal bei den Wurzeln meiner Mutter zu beginnen. Sie lebt glücklicherweise noch und ich konnte ihr viele Details über ihre Heimat Pommern entlocken. Durch das Internet ließen sich viele Sachen recherchieren und mit viel Suchen, Kombinieren und Vergleichen alter und neuer Karten wurde ich sehr schnell fündig. Das frühere Dorf Albrechtsdorf am Neuwarper See heißt heute Karszno, und es ließ sich sogar mit Google Map per Satellitenansicht finden.

Freitag, 17. Oktober 2008, 12.00 Uhr

Zuerst noch unschlüssig, ob wir fahren sollten, entschlossen wir uns (oder besser gesagt Axel) trotz eisiger Temperaturen dann doch, die Tour "zurück zu den Wurzeln" an diesem Wochenende zu machen. Zumindest sollte es trocken bleiben, und gegen die Kälte zogen wir uns Funktionsunterwäsche, Fleecehemden und Halskrausen über...halt das volle Winterprogramm.

Da dies wie gesagt wieder so ein typischer Spontan-Axel-Entschluss war, blieb es natürlich nicht aus, dass ich die Hälfte vergessen hatte, wir wieder umdrehen mussten und somit wertvolle Zeit verloren ging. Letztendlich war es schon nach 14.00 Uhr, als wir uns endlich auf den Weg machen konnten. Unser erstes Ziel war: so weit wir fahren wollten und konnten. Bei Bargteheide setzten wir uns erst einmal auf die Autobahn und fuhren mit Tempo 160 Km/h bis Rostock durch. Obwohl Autobahnen immer wieder öde und eintönig sind, erwies sich hier die A20 als außerordentlich nützlich. So hatten wir schon ein ordentliches Stück unserer Etappe geschafft. Zu erwähnen wäre, dass ein Dosenfahrer beim Überholen mal wieder den Seitenblick vergaß, uns übersah und einfach rüberzog, uns dadurch fast auf den Grünstreifen abdrängte und wir verdammt viel Glück hatten, dass wir irgendwie noch durchkamen...Irgendetwas in der Richtung erleben wir immer, wenn wir auf Reisen sind.

Ab Rostock ging es dann über Bundesstraßen Richtung Neubrandenburg weiter. Die Straßen waren frei und es machte Spaß, die Moppeds so richtig laufen zu lassen. Zwar kroch hin und wieder die Kälte durch einige Ritzen und trieb uns Schauer über den Rücken, im Großen und Ganzen war es aber gut auszuhalten. In Teterow machten wir erneut Pause und wärmten uns bei einem Kaffee ein wenig auf. Jetzt hieß es sich entscheiden, wie weit wir noch fahren wollten. Es war 16.30 Uhr. Bis Burg Stargard zeigte das Navi noch 1 Stunde an, bis Ückermunde noch 2 Stunden. Nach kurzer Überlegung entschieden wir uns für Ückermunde. So hatten wir nächsten Tag eine kürzere Anfahrt nach Polen. Mit der untergehenden Sonne fielen allerdings auch die Temperaturen merkbar. Als wir endlich im Fast-Dunkel Ückermünde gegen 18.45 Uhr erreichten, zeigte das Thermometer nur noch 8°. Wir freuten uns auf etwas Warmes zum Essen und einen heißen Tee.

JuHe Ückermünde
Jugendherberge Ückermünde

Beides bekamen wir und ließen den Abend gemütlich in der JuHe ausklingen. Hier hatte an diesem Abend ein Segelverein eine Veranstaltung und wir durften uns als Gäste an einem schönen Bildervortrag erfreuen. Auch die Segler sind ein Volk für sich...da wurde sich genauso wie es die Biker tun über Schräglagen unterhalten. Und wie wir uns Bilder vom Kurvenfahren reinsaugen, erfreuen sich halt die Segler an ihren Schräglagen der Schiffe durch Wind und Wellengang. Schon witzig, welche Parallelen es manchmal gibt. :-)

Heute gefahren von Norderstedt nach Ückermünde: 346 KM

Samstag, 18. Oktober 2008

Den heutigen Tag begannen wir mit einem leckeren und reichhaltigen Frühstück. Insgesamt gesehen stimmte bei der JuHe in Ückermünde das Preis-/Leistungsverhältnis allemal. Angefangen beim großzügigen Zimmer über die Getränkepreise bis hin zum Willkommenheißen des Herbergsvaters. Von uns aus gibt es für alles zusammen ein dickes Daumenhoch!

Um 10.00 Uhr starteten wir. Erst einmal ging es wieder etwas westlich zum Tanken und danach gemäß ausgearbeiteter Route gen Osten rüber nach Polen. Wir hatten vorher den Herbergsvater gefragt, welche Grenzübergänge nach Polen offiziell sind. Die Antwort war "bei Hintersee". Allerdings kannte mein Navi diesen Grenzübergang nicht, obwohl die Software aus 2008 war. Erst war es spannend, dann nervig, dass immer wieder die Ansage ertönte: "Route wurde verlassen...Neuberechnung in Gang". Das Navi wollte mich partout über den südlichen Übergang bei Linken führen. Erst als wir die direkte Straße auf der polnischen Seite befuhren, hatte mein Navi die Orientierung wieder. Wir sollten dann links abbiegen und in Richtung Neu Warp fahren. Was sich uns dann straßentechnisch bot, war unter aller Sau. Fast 12 Km reinster Knüppeldamm, so dass sich sogar meine Navihalterung losrüttelte und langsam nach unten senkte. Wir fuhren durch dichtesten Wald. Und jetzt kam andauernd die Ansage: "Kein Satellitenempfang", da sich über uns dichte Baumkronen befanden. Egal...verfahren konnten wir uns nicht. Es gab keine andere Straße, auf der man hätte fahren können. ;-)

durch den Wald
Knüppeldamm durch den Wald

Und dann erreichten wir Karszno...oder wie es früher hieß: Albrechtsdorf. Und mit ihm erreichten wir mein Objekt der Begierde...das Schloss, in dem meine Mutter die meiste Zeit ihrer Kindheit verbracht hatte.

Ankunft in Neu Warp
Ankunft am Schloss Albrechtsdorf in Neu Warp

Ich war glücklich! Ich stand am verschlossenen Eingangstor und sah innerlich meine Mutter die Treppen des Portals herunterkommen. Sah ihren langen Zöpfe im Wind wehen und stellte mir vor, wie unbeschwert und glücklich ihre Zeit hier gewesen sein muss. Plötzlich nahmen all die Geschichten, die sie mir immer wieder erzählt hatte, Gestalt an. Für einen kurzen Moment schloss ich die Augen und hörte ihre Stimme, die Stimmen meiner Großeltern und das sanfte Rauschen des Sees. Und meine Augen füllten sich mit Tränen...und ich schämte mich dessen nicht einmal.

Und plötzlich sah ich tatsächlich jemanden die Treppen herabschreiten. Träumte ich noch oder war es Realität? Erst Axels Ausruf "He, da kommt jemand" riss mich in die Gegenwart zurück. Ein Mann kam direkt auf uns zu und sprach uns auf polnisch an. Wir verstanden natürlich kein Wort, auch Englisch half nichts. Dann zeigte ich ihm das oben stehende alte Foto des Schlosses und versuchte mit Händen und Füßen zu erklären, warum wir hier sind und was wir wollten. Und plötzlich lächelte er, wollte alle Familienfotos sehen, die ich dabei hatte und öffnete uns das Tor. Ich hätte vor Freude in die Luft springen können. Wir durften das Grundstück betreten!!! Was sich in diesem Moment in mir abspielte, war unbeschreiblich. Ehrfurchtsvoll durchschritten wir den Park und gingen am Schloss vorbei zur Seeseite. Zwar war von den liebevoll angelegten Muschelwegen, die meine Mutter beschrieben hatte, nichts mehr zu sehen. Dafür stand ich aber nun direkt dort, wo meine Mutter quasi aufgewachsen war.

Schloss Albrechtsdor damals und heute
Schloss Albrechtsdorf damals (ca. 1940) und heute 2008

Der polnische Mann, vielleicht Verwalter, ließ alles geschehen. Er erzählte munter auf polnisch, wir auf deutsch...und keiner verstand irgend etwas. Aber es war egal...irgendwie verband uns etwas, was man nicht erklären konnte. Nach hunderten von Fotos und diversen Filmaufnahmen setzten Axel und ich unsere Reise fort. Wir bedankten uns freundlich bei dem Mann, und obwohl er nichts verstand, nickte er freundlich und schien zu wissen, was wir meinten.

Ich konnte es schon jetzt nicht mehr erwarten, meiner Mutter all die Fotos und Aufnahmen zu zeigen. Was sie wohl sagen würde?

Weiter ging es dann erst einmal nach Neu Warp oder wie es heute heißt: Nowe Warpno. Hier allerdings war ich ziemlich enttäuscht. Es war halt ein Dorf...graue Fassaden, schlechte Straßen und mehr nicht. Trostlos, verwahrlost, heruntergekommen....

Hafen in Neu Warp
Hafen in Neu Warp

Ein kurzer Blick auf den See reichte mir dann auch und wir fuhren wieder zurück durch Karszno in Richtung Stettin. Als nächster Halt war das Dorf Buk (früher Boek) geplant, in dem meine Mutter geboren wurde. Auch hier bot sich uns ein trostloser Anblick. Schlechte Straßen, graue Häuserfassaden, streunende Dorfhunde....sonst nichts. Mit der angeschalteten Kamera fuhren wir das Dorf rauf und runter...in der Hoffnung, dass meine Mutter später irgendetwas erkennen wird.

Es war komisch, aber hier regte sich in mir nichts. Vielleicht lag es daran, dass meine Mutter zu klein war, um wirklich etwas hier in bleibender Erinnerung zu erleben und uns zu berichten. Relativ früh sind ihre Eltern dann nämlich nach Stettin gezogen, was unser nächster Stopp dann auch sein sollte.

Friedrich-Carl-Straße in Stettin
Friedrich-Carl-Straße 17 in Stettin

Und den erreichten wir dann auch. Früher Friedrich-Carl-Straße, heute Aleja Pilsudskiego oder so ähnlich. Auch der nahe gelegene Kaiser-Wilhelm-Platz war zwar noch da, hieß heute aber irgendetwas mit Plac Grunwaldzki oder so. Ziemlich gefühlslos stand ich vor dem Hauseingang. Ich kann es mir nur so erklären, dass meine Mutter eben mit wesentlich mehr Leidenschaft von ihrer Kindheit im Schloss Albrechtsdorf erzählt hat und weniger von Stettin. Wenig begeistert wird sie sicherlich davon sein, dass sich nun unter der Wohnung ein Sex-Shop befindet.

Dann ging es noch einmal mit einer Ehrenrunde um den Friedrich-Carl-Platz und anschließendem Kaiser-Wilhelm-Platz östlich weiter zu den Hakenterrassen. In schneller Vorbeifahrt auf der Hauptstraße nahmen wir die Hakenterrassen wahr und verließen dann Stettin östlich, um anschließend nördlich auf einer sehr langweiligen Bundesstraße nach etwa 70 Kilometern Swinemünde zu erreichen.

Irgendjemand hatte uns erzählt, dass der Grenzübergang nach Ahlbeck in Deutschland nun auch für Fahrzeuge geöffnet war...sicher waren wir uns allerdings nicht. Mein Navi führte uns in Swinemünde zum Verladehafen nach Schweden. Gab ich Ahlbeck ein, sollten wir 269 Km wieder zurück ums Haff auf die Insel Usedom fahren. Schluck....hoffentlich irrte sich mein Navi. Dann fanden wir glücklicherweise eine Fähre, die uns auf die andere Seite von Swinemünde bringen sollte. Das war ja schon mal toll. Also setzten wir über. Aber selbst auf der anderen Seite wollte uns mein Navi immer wieder zurück um das Haff nach Usedom zwingen. Wir waren gespannt, was uns erwarten würde, wenn wir den Grenzübergang finden würden.

Fähre Swinemünde
Fähre in Swinemünde

Witzig war noch der Hund, der in Swinemünde wie selbstverständlich an Bord der Fähre ging, immer wieder nach vorne schaute, wie weit denn nun die Fähre schon gefahren war und beim Anlegen in Swinemünde das Herunterlassen der Klappen kaum abwarten konnte und bereits "die Wand hochging". Das schien er auf jeden Fall nicht das erste Mal gemacht zu haben.

blinder Passagier
blinder Passagier

Nach dem Verlassen der Fähre war für uns wieder Spannung angesagt. Kein Hinweisschild nach Deutschland, keine Richtungsangabe. Einzig und allein westlich sollte es gehen. Selbst kurz vor der Grenze gab es keinen Hinweis oder irgendein Schild. Nur Anhand des Navis fanden wir die Straße, die uns wieder zurück nach Deutschland führte. Wir waren erleichtert und zugleich fiel uns das bedrückende Gefühl vom Herzen. Wir waren wieder in der Heimat und fühlten uns gut.

In Bansin machten wir Halt und suchten uns unsere nächste JuHe für die Übernachtung. Greifswald passte und Axel reservierte uns dort ein Zimmer. Es gibt schon gewaltige Preisunterschiede bei den Übernachtungen in Jugendherbergen und ein Vergleich lohnt sich allemal. Denn in Greifswald bekamen wir ebenso wie in Ückermünde ein 4-Bett-Zimmer...allerdings mussten wir hier einen Doppelzimmer-Zuschlag bezahlen, es gab kein Abendbrot mehr und der Grundpreis war ebenfalls viel höher. Summasummarum lagen wir hier in Greifswald deutlich über den Schnitt, den wir von Jugendherbergen her kennen.

Juhe Greifswald
Jugendherberge Greifswald

Heute gefahren von Ückermünde über Stettin nach Greifswald: 284 KM 

Sonntag, 19. Oktober 2008

Gegen 10.00 Uhr verließen wir Greifwald mit einem kurzen Besuch des Marktplatzes. Schöne alte Gebäude waren zu sehen...aus der Zeit der Hanse. Die wenigsten wissen wahrscheinlich, dass Greifswald eine Hansestadt ist.

Von dort aus ging es weiter in Richtung Stralsund...ebenfalls Hansestadt. Und auch hier erwarteten uns schöne, alte und vor allem Ehrfurcht einflößende Gebäude wie die Kathedrale oder das alte Rathaus dort.

Kathedrale in Stralsund
Kathedrale in Stralsund

Weiter ging es dann in Richtung Darß, Fischland oder Zingst oder wie das dort auch immer heißt. Schöne Gegenden direkt am Meer gelegen erwarteten uns. Trotz des kalten Wetters waren hier immer noch viel Touristen unterwegs. Unser nächster Halt war dann auch in einem kleinen Pavillon direkt an der Hauptstraße in Zingst. Hier gab es lecker Backfisch im Brötchen und einen wärmenden Kaffee.

Pause in Zingst
letzte Pause in Zingst

Der Himmel zog sich zu, wir setzten unsere Fahrt teils im Nieselregen fort, erreichten nach fast 1.000 Kilometern, einem leergefahrenen Tank und einem Waschgang für die Moppeds wieder unsere heimische Garage. Für mich war diese Tour ein unvergessliches Erlebnis. Ich war meinen Ahnen irgendwie ganz nahe und möchte dieses Gefühl auf keinen Fall missen.

Danke, Axel, dass Du mit mir gemeinsam diese Reise unternommen hast. :-)))

Bine

Heute gefahren Greiswald nach Hause: 341 KM

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